Bildungspflicht

die Bildungspflicht


Die italienische Verfassung sieht keine allgemeine Schulpflicht sondern nur eine Bildungspflicht vor, so dass problemlos zuhause „unterrichtet“ werden kann, und gilt für Menschen im Alter von sechs bis sechzehn Jahren. Auf den Besuch von Kindergarten und Vorschule kann somit komplett verzichten werden, ohne sich irgendwo melden oder verantworten zu müssen.

Um Kinder zu Hause unterrichten zu können, muss die örtliche Schule jedes Jahr aufs Neue für das folgende Schuljahr über dieses Vorhaben informiert werden. Die Erklärung sollte möglichst zeitgleich mit den allgemeinen Einschreibe-Terminen erfolgen, also Ende Februar. Dazu sollte beim ersten Brief die sogenannte „Autocertificazione“ eine persönliche Erklärung beigelegt werden, in der versichert wird, dass die Eltern über die entsprechenden „technischen und ökonomischen Möglichkeiten“ verfügen die Kinder selber zu unterrichten. Dies heist z.B. wenn die Eltern Abitur haben, können sie „technische Möglichkeiten“ zur Ausbildung der einzelnen Kinder bis zum Abschluss der Mittelschule nachweisen. Um auch die Oberschule zu Hause ersetzen zu können, sollte eine „Laurea“, ein Hochschulabschluss, vorliegen. Dies sind aber keine Bedingungen und werden im Normalfall auch nicht nachgefragt. Die Schulämter können bei auftauchenden Zweifeln, dass die Eltern ihren Pflichten, die Kinder angemessen auszubilden, nicht nachkommen, Kontrollen durchführen. Deshalb wird gemeinhin geraten, in „gutem Kontakt“ zur örtlichen Schule zu stehen und sich nicht komplett von der Kommunikation mit den dortigen Verantwortlichen abzukapseln.

Praktisch in Italien ist, dass die Kinder weiterhin in der Schule registriert sein können, und so als externe Prüflinge an den jährlichen Abschlussexamina teilnehmen. Wessen Homeschooling-Konzept Bewertungen und die Durchführung des Curriculums der Regelschule vorsieht, hat hier natürlich große Vorteile. Nicht nur um den eigenen Erfolg messen zu können, sondern letztlich auch einen regulären Schulabschluss für die Kinder recht unkompliziert zu erreichen.

Trotzdem wird in Italien auch die „andere“ Form des Homeschoolings, das Freilernerkonzept oder „Unschooling“ praktiziert, wo darauf völlig verzichtet wird, das Kind einem öffentlichen Lehrplan und der Benotung zu unterwerfen. Wer zu diesem Thema Anregungen sucht, wird im Internet auf verschiedenen Seiten und Blogs fündig.

Prüfung


Für alle Kinder und Jugendlichen, die unter den mehreren tausend sind, die in Italien ganz legal auf den Besuch einer Schule verzichten, um sich zu bilden, gilt seit dem Schuljahr 2017, dass sie sich einer jährlichen „Prüfung“ unterziehen müssen.

“In caso di istruzione parentale, i genitori dell’alunna o dell’alunno, della studentessa o dello studente, ovvero coloro che esercitano la responsabilità genitoriale, sono tenuti a presentare annualmente la comunicazione preventiva al dirigente scolastico del territorio di residenza. Tali alunni o studenti sostengono annualmente l’esame di idoneità per il passaggio alla classe successiva in qualità di candidati esterni presso una scuola statale o paritaria, fino all’assolvimento dell’obbligo di istruzione.” (DECRETO LEGISLATIVO 13 aprile 2017, n. 62, das Gesetz trat im Mai 2017 in Kraft.)

Hier ein paar Hinweise zum Thema.

Ist ein Durchfallen möglich?


Vor einem Jahr gab es eine interessante Neuinterpretation des Begriffes „Bocciatura“, der auf Deutsch eigentlich immer mit „Durchfallen“ übersetzt wird. Er wird nun als Förderunfähigkeit verstanden. Der Mangel an Förderfähigkeit ist aber nur in Ausnahmefällen gegeben, und deshalb kann man in Italien im ersten Bildungszyklus (Grund- und Mittelschulen) gar nicht mehr durchfallen.

Durch eine „schlechte Leistung“ des (externen) Prüflings kann nicht sein Recht auf Bildung zu Hause in Frage gestellt werden. Gemäß der Stellungnahme vom MIUR n. 253/2013, unterliegt die elterliche Entscheidung zum Homeschooling nämlich keinerlei Genehmigungspflicht seitens der Behörden.

Daher kann man den Prüfungen stets sehr gelassen gegenüber stehen.

Lehrpläne


Hier ist im Vorfeld zu unterscheiden zwischen der Prüfungsvorbereitung mit dem Ziel, einen Eignungstest für das nächste Schuljahr an einer Regelschule machen zu wollen, und dem Ziel, nach dem obligatorischen Test wieder ganz normal mit dem Unterricht zu Hause weiter zu machen.

Im ersten Fall spricht man mit der Schulleitung, und hält sich an deren Vorgaben.

Im zweiten Fall kommt es einfach darauf an, welchem Homeschooling-Konzept man folgt. Die Interpretation des Gesetzes lässt zum Glück v. a. für Freilerner einiges an Spielraum. Denn eigentlich ist die für die Prüfung zuständige Schule nicht berechtigt, den abzufragenden Stoff vorzugeben. Vielmehr ist es der Prüfling, der seine Themen präsentiert. Diese müssen den ministerialen Vorgaben entsprechen, aber eben nicht dem Lehrplan einer bestimmten Schule. Viele Eltern haben sich vernetzt, um diese recht vage gehaltenen Programme vernünftig interpretieren zu können und die eigenen Vorstellungen weitestgehend mit ihnen in Einklang zu bringen. Einige der Netzwerke sind am Ende zu finden.

Der Lehrplan, den der Schüler für seine Prüfung erstellt hat, wird der Schule, die die externe Prüfung vornehmen wird, bis einschließlich 30. April vorgelegt. Die Prüfungskommission kann dann Vorschläge und Ergänzungen machen. Solange der Entwurf des Prüflings den ministerialen Richtlinien entspricht, kann sich die Schule aber nicht weigern, die Prüfung auf dessen Basis abzunehmen.

Die externe Prüfung


Der jährliche Test für Grundschüler sieht zwei schriftliche Prüfungen vor (eine in Italienisch, eine in Mathe) und eine Fächerübergreifende mündliche Prüfung, die mitunter sehr informell gehalten ist.
In der weiterführenden Schule kommt dann eine Fremdsprache hinzu, je nach Institut, das die Prüfung abnimmt, meist Englisch.
In jedem Fall muss die Kommission den Prüfling im Voraus darüber informieren, welche Art von Prüfung sie durchführen möchte also Diktat, oder Aufsatz im Italienischen, etc.
Die mündliche Prüfung ist oft auch der Ort, an dem der Schüler die Arbeiten, die er im vergangenen Jahr gemacht hat, präsentieren kann. Also seine Arbeitshefte, Lapbooks, Handarbeiten, selbst gedrehte Videos, ein Referat zu einem bestimmten Thema, etc.

Wo und Wann?


Die Prüfung findet immer im Rahmen einer einzigen Sitzung im Juni statt. Sie kann sowohl an einer staatlichen, als auch an einer staatlich anerkannten Schule abgelegt werden.
Das Gesetz sieht nicht ausdrücklich vor, dass das Examen an der Schule des Wohnortes abgelegt werden muss (wo im Normalfall die Erklärung zum Hausunterricht hingeschickt wurde). Man kann die Schule also frei wählen. Allerdings akzeptieren nicht alle Schulen automatisch jede Anmeldung von Homeschoolern oder Freilernern zum Jahresabschlußexamen. Es empfiehlt sich also, wenn man Präferenzen hat, schon zu Schulbeginn im September das Gespräch mit der ausgesuchten Schule zu suchen. Wenn das Examen dann dort abgelegt werden darf, ist die „eigentlich zuständige“ Schule vor Ort darüber zu informieren. Nach dem Examen muss man dort auch das Ergebnis der Prüfung mitteilen.

Anwesenheit der Eltern


Analog zur Norm, die öffentliche Wettbewerbe und ministerielle Prüfungen regelt und auch für die Abschlussprüfung gilt, ist die mündliche Prüfung öffentlich. (Art. 6 c. 4 des Präsidialerlasses 487/1994: „Die mündlichen Prüfungen müssen in einem öffentlich zugänglichen Klassenzimmer stattfinden, dessen Kapazität geeignet ist, eine maximale Beteiligung sicherzustellen“). Dementsprechend kann einem Prüfling nicht der Wunsch nach der Anwesenheit seiner Eltern verweigert werden. Bei Platzmangel entscheidet der Schulleiter das Vorgehen.

Für Freilerner: Welches Prüfungsniveau muss eingehalten werden?


In Italien gibt es ein gesetzlich vorgeschriebenes Mindestalter für das Ablegen der einschlägigen Prüfungen, aber (außer für die erste Grundschulklasse) kein Höchstalter. Wer also die Prüfung eines unteren Jahrgangs ablegen möchte, kann das tun. Und wie schon erwähnt kann man nicht wirklich durchfallen und sich darüberhinaus italienweit eine Schule aussuchen, die man um das Abnehmen der Prüfung bittet.

Auslegung des Gesetzes


Es haben einige Anwälte Zweifel an der korrekten Auslegung des Gesetzes in der Praxis angemeldet und sich scheinbar schon viele Freilerner-Familien in Italien dazu entschieden, sich erst einmal keinen Druck machen zu lassen, sondern die Prüfung zu verweigern.

Dazu hat das Netzwerk controscuola einige Tipps erarbeitet.

Auch geht das Gesetz nicht auf Sanktionen ein oder was passiert, wenn es gebrochen wird. Es wird demnach davon ausgegangen, dass ein Nicht-Vorstellig-Werden des Kindes zur Prüfung als ein Vernachlässigen der Bildungspflicht (Art. 731 im Codice Penale)  gesehen wird.  Dies wird in Italien bislang mit einer Geldstrafe bis 30 Euro sanktioniert, darf aber dabei nicht von Schule, Schulamt oder einer anderen Behörde verhängt werden, sondern einzig und allein vom ermessen des zuständige Bürgermeister. Auch ist eine Schule nicht verpflichtet das fernbleiben irgendwo zu melden. Gerade in kleinen Gemeinden wie unsere, in der jeder jeden „kennt“, ist daher davon aus zu gehen, dass man bei redlichen Umgang miteinander leicht zu einer für alle Parteien zufrieden stellenden Lösung kommen kann, da der Bürgermeister sowie die Schulleitung mit Sicherheit nicht an einem arbeitsintensiven Streit mit Freilernern interessiert sind und natürlich ebenfalls am liebsten den Weg des geringsten Widerstandes gehen möchten. Wir selbst haben mit diesem ganzen Thema noch keine Erfahrungen gemacht. Von befreundeten Freilernern aus Kalabrien wissen wir aber, dass eine Schule einige Km entfernt, auch weiterhin auf die Einladung zur Prüfungen vollkommen verzichtet.

Fazit


Für Freilerner/Unschooler ist es zwar offiziell alles etwas enger geworden, und man muss wissen wie man sich bewegen sollte, aber es ist bei weiten nicht alles verloren.

Wenn man den offiziellen Weg gehen möchte, stellt dieser selbst für Freilerner eigentlich keinen wirklichen Nachteil dar. Gerade in Italien sollte jeder Freilerner das sehr geringe Niveau hiesiger Schulen im Schlaf bewältigen können. Auch muss niemand in Prüfungstress verfallen, da es im Prinzip keinerlei Durchfallrisiko gibt und der „Prüfling“ selbstbestimmt die Themen der Prüfung frei wählen kann.

Falls man diesem Thema aber dennoch lieber völlig entgehen möchte, würde dies in unseren Augen auch keine grosse Hürde darstellen, solange man mit allen Beteiligten redlich und auf Augenhöhe nach einer vernünftigen Lösung sucht.

Und zuletzt sollte man noch bedenken, dass diese rein bürokratischen Fragen sich erst durch die Anmeldung in Italien ergeben, und es sich natürlich auch problemlos ungemeldet hier leben lässt. Wie auch in Deutschland steht und fällt alles damit.

 

Quellen & nützliche Links


istruzionefamiliare.wordpress.com  umfangreichste Info-Sammlung mit Dokumenten & Fristen
controscuola.it (Einleitung auch auf Englisch)
educazioneparentale.org
pianetamamma

Imparare in libertà – istruzione alternativa a misura di bambino

Blogs:
bimbifeliciacasa
buntglas (auch auf Deutsch)

In Mailand hat eine Institution aufgemacht, die sich als „Non-Scuola“ bezeichnet und Jugendliche ab 13 Jahren aufnimmt. Mehr Informationen dazu gibt es auf der Webseite www.artademia.it.

Grossen Dank an Italien-Inside.de